Jüdische Familie Reich bekommt Stolpersteine in Dortmund
Ausstellung „Polenaktion“ in der Steinwache thematisiert weitgehend unbekannte Deportation 1938
In einer Massenaktion wurden 1938 rund 17.000 Menschen aus dem Deutschen Reich nach Polen ausgewiesen. Verfolgt wurden sie als Jüd*innen polnischer Staatsangehörigkeit. Diese sogenannte Polen-Aktion ist bis heute in der Erinnerung wenig präsent.
In der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache erzählt die Ausstellung „Ausgewiesen! 28. Oktober 1938 – Die Geschichte der »Polenaktion«“ nun u.a. davon, wie auch 600 Männer, Frauen und Kinder aus Dortmund von dieser ersten reichsweit organisierten und gewalttätig durchgeführten Massenausweisung betroffen waren. Biografische Tafeln stellen Lebenswege und Schicksale von Ausgewiesenen aus verschiedenen Städten und Orten in Deutschland dar, Kontexttafeln erläutern die Hintergründe.
Schicksal der Dortmunder Familie Reich
Zur offiziellen Eröffnung der Wanderausstellung in Dortmund sprach am Dienstag, 6. Juni, auch Alan Reich aus England. Er ist Nachfahre der Familie Reich, die im Oktober 1938 aus Dortmund deportiert wurde und für die am Vormittag des 6. Juni Stolpersteine in der Leopoldstraße 20 verlegt wurden. Reichs Vater konnte als Kind rechtzeitig vor den Nazis in Sicherheit gebracht werden, seine Eltern wurden ermordet.
Historischer Hintergrund der „Polenaktion“
Wie von Dr. Alina Bothe, Historikerin am Selma-Stern-Zentrum für Jüdische Studien an der Freien Universität Berlin, zur Eröffnung der Ausstellung dargelegt, handelte es sich bei der „Polenaktion“ um eine Deportation vor den Deportationen, die maßgeblich für die Beschleunigung der Verfolgung von Jüd*innen 1938 war. Demnach war die Ausweisungsaktion durch die deutschen Täter bereits Monate im Voraus geplant und organisiert.
Alan Reich ordnet die Geschehen rund um seine Familie wie folgt ein:
„Die ,Polenaktion’ ist ein Ereignis, das durch die später erfolgten Geschehnisse nahezu in Vergessenheit geraten ist. Doch ist die ‘Polenaktion’ ein wesentlicher Teil des Ganzen – sie kann als eine Art Generalprobe für das verstanden werden, was folgte; koordinierte Festnahmen und Deportationszüge nach Polen.“
Mit Blick auf seine Vorfahren sagt Reich: „Viele jüdische Familien sind durch die Taten der Nationalsozialisten zerstört worden, und ich persönlich bleibe mit mehr Fragen als Antworten zurück. Ich möchte mehr wissen über das Leben, das meine Familie hier in Dortmund hatte – um zu verstehen, was vor den brutalen Deportationen kam und was passierte, bevor mein Vater und seine beiden Geschwister zu Geflüchteten in England wurden.“
Die Wanderausstellung „Ausgewiesen! 28. Oktober 1938 – Die Geschichte der »Polenaktion«“ basiert auf einer vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. gemeinsam mit Studierenden erarbeiteten Ausstellung zur Geschichte der „Polenaktion“ in Berlin, die 2018 in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum und 2019 im Jüdischen Historischen Institut Warschau gezeigt wurde.
„Ausgewiesen! 28. Oktober 1938 – Die Geschichte der »Polenaktion«“
6. Juni bis 30. September 2023, Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Steinstraße 50
Eintritt frei, geöffnet von dienstags bis sonntags, 10-17 Uhr
Bildrechte:
Bild 1: Alan und Martin Reich und der Künstler Gunter Demnig, der seit 1996 die Stolpersteine in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt (© Roland Gorecki, Stadt Dortmund).
Bild 2: Die fünf Stolpersteine (© Roland Gorecki, Stadt Dortmund).
Bild 3: Die Ausstellung in der Steinwache (© Eleni Arapidis, Stadt Dortmund)