Stadion-Wurst und Dortmunder Helles

Sonderschau im Brauerei-Museum zur Fleisch- und Bierproduktion

Im 19. Jahrhundert erstarkte die Industrialisierung im deutschsprachigen Raum, und der Weg für den Massenkonsum wurde geebnet. Produkte wie Fleisch und Bier wurden erschwinglich und verfügbar – bis hin zum Konsum-Boom der Moderne. Die Sonderausstellung „Stadionwurst und Dortmunder Helles“ im Brauerei-Museum gibt vom 25. Juni bis 31. Dezember einen Einblick, wie Fleisch und Bier zu Produkten der Industrialisierung wurden – und wie sich die Industrialisierung in ihnen widerspiegelt.

Fleisch und Bier: Beide Produkte werden oft gemeinsam genossen, sind viel hinterfragt, meist verfügbar und erschwinglich. Der Weg hierfür wurde in erster Linie durch die Industrialisierung geebnet: Die Erfindung der Kälteerzeugungsmaschine von Carl von Linde (1842-1934) legte den Grundstein zur Möglichkeit, untergäriges Bier in großem Maßstab zu produzieren. Außerdem konnten Fleisch und Bier nun über längere Zeiträume und Strecken gekühlt werden. Hinzu kamen verbesserte Transportmöglichkeiten, z.B. durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes.

Die Biersorten differenzierten sich mehr und mehr aus, und Fleisch wurde nun in vielfacher Form produziert – die Stadion-Wurst etwa dient dem handlichen Verzehr „to go“. Die Haltbarmachung des Produktes Fleisch tritt in den Hintergrund.

Industrielle Produktionsbedingungen veränderten auch die Arbeits- und Lebenswelten: Fabriken wurden gegründet, Arbeiter zogen aus dem ländlichen Raum in die Städte, Werkssiedlungen entstanden, und Stechuhren gaben den Alltagsrhythmus vor. Gebraut und geschlachtet wurde im Schichtsystem, jeder Arbeiter kannte (nur) seine Handgriffe, das Wissen konzentrierte sich innerhalb der Fabrikmauern.

Foto Postkarte

Dortmunder Helles
Die Erfolgsgeschichte des Dortmunder Helles begann mit der Einführung der Kühltechnik: Kälteerzeugungsmaschinen erhielten ab den 1870er-Jahren ihren Einzug in die Dortmunder Welt der industriellen Bierproduktion. Fortan war es möglich, den Gärvorgang nach bayrischer Brauweise ganzjährig bei geringeren Temperaturen von nur 4-9°C durchzuführen. So konnteuntergäriges Bier im großen Stil produziert werden – auch Dortmunder Helles.

Goldgelb und feinwürzig eroberte es nicht nur den städtischen Markt, sondern setzte sich auch überregional durch. Auch das Dortmunder Exportbier war ursprünglich als Helles gedacht. Um es zu exportieren und dafür eine bessere Haltbarkeit zu garantieren, hatte es einen höheren Stammwürzegehalt. Am jeweiligen Zielort sollte es wieder mit Wasser verdünnt werden. Dazu kam es zwar nicht, aber es brachte der Stadt in den 1970er-Jahren den Titel als „Europas Bierstadt Nr. 1“ ein.

Fleischproduktion
Die Fleischproduktion stieg im 19. Jahrhundert stark an: Grund hierfür waren neue technologische Möglichkeiten bei Tierhaltung, Tier- und Fleischtransport sowie im Schlachtvorgang und auch eine allgemeine Wohlstandssteigerung. Die Massentierhaltung setzte sich durch. Der Schlachtprozess wurde aus dem häuslichen Umfeld in Fabriken ausgelagert und zunehmend arbeitsteilig gestaltet.

Damit ging eine Auslagerung des Wissens um Rohstoffe, Produkte und Produktion aus der heimischen Umgebung einher: Wusste die „gute Hausfrau“ zunächst noch, wie man zumindest Kleinvieh schlachtet, wurstet oder das Tier im Ganzen, „from nose to tail“ verwertet, wurde dieses Wissen spätestens im Laufe des 20. Jahrhunderts dezentralisiert.

Der Konsum-Boom des 20. Jahrhunderts ebbte zur Jahrtausendwende hin ab: Regionalität, Saisonalität und Gesundheit rückten mehr und mehr in den Fokus und beeinflussen Konsum und Ernährungsdiskurse bis heute. Maßvoller Genuss und Nachhaltigkeit sind nun die Prämissen der Gegenwart. Doch auch heute noch gilt: „Bei Stadion-Wurst denkt man eher nicht mehr an Arbeit, Resteverwertung oder Haltbarmachung, sondern vielmehr an Freizeit, Fußball und Essen ,to go‘“, sagt Corinna Schirmer, Leiterin des Brauerei-Museums.

 

Bilder: Dr. Jens Stöcker (Direktor MKK) und Corinna Schirmer (Leiterin des Brauerei-Museums) in der Ausstellung (Fotocredit: Roland Gorecki, Dortmund Agentur) sowie eine der ausgestellten Postkarten.