Nordstadtgesichter
Fatime Sahin
Die ehrenamtliche Helferin engagiert sich für die Bewohner der Nordstadt und kämpft zudem für mehr Aufklärung und Austausch im Umgang mit ADHS.
Fatime Sahin ist bereits im fünften Jahr für den Nachbarschaftstreff im Spähenfelde tätig, seit kurzem auch als hauptamtliche Mitarbeiterin. "Ich habe hier selbst als Bewohnerin an einem Computerkurs teilgenommen und danach wurde mir angeboten, dass ich diesen Kurs in Zukunft leite. Die Arbeit am Computer und mit dem Internet ist mein Hobby. Vor vier Jahren habe ich diesen Kurs deshalb übernommen. Ich erkläre immer alles einfach und verständlich, ohne komplizierte Fachsprache oder englische Begriffe, damit mich alle verstehen und dazulernen", erklärt Fatime. Die Kurse werden von den Nachbarn und Nachbarinnen gut angenommen, so dass alle Plätze vergeben sind. Fatime Sahin organisiert, koordiniert und ist die Ansprechpartnerin für den Nachbarschaftstreff Im Spähenfelde. Als Nordstadtkind ist sie bereits seit zwölf Jahren ehrenamtlich für Vereine tätig und engagiert sich dabei für ihre Nachbarschaft, die Nordstadt sowie Frauen mit Migrationshintergrund. "Mir macht diese Arbeit wirklich sehr viel Spaß. Eigentlich bin ich gelernte Einzelhandelskauffrau und strebe aktuell eine Weiterbildung im sozialen Bereich an.
Der Nachbarschaftstreff im Spähenfelde 15 steht seit November 2009 allen Bewohnerinnen und Bewohnern offen. Die vielfältigen Projektangebote geben insbesondere die Möglichkeit zur Begegnung, zum Austausch und zur (Weiter-)Bildung. Der Nachbarschaftstreff ist ein Kooperationsprojekt der Wohnungsbaugenossenschaft Spar- und Bauverein eG Dortmund und des Planerladens e.V. mit dem Ziel, die Nachbarschaft zu stärken sowie die Kommunikation untereinander zu fördern. Zu den Angeboten für Erwachsene zählen unter anderem internationale Frauentreffen, Seniorentreffen, Frauenfrühstücke, gemeinsames Kochen, PC-Kurse, Sprachkurse und Informationsveranstaltungen. Zudem bietet der Nachbarschaftstreff tolle Angebote für Kinder wie Hausaufgabenhilfe, Lesestunden, Musikkurse und Kreativprojekte. Das Meiste ist kostenfrei. Fatime Sahin ist für die Organisation der Angebote zuständig und als Ansprechpartnerin vor Ort.
Die gebürtige Türkin engagiert sich zudem für den Migrantinnenverein Dortmund e.V. , der unter dem Motto "Voneinander lernen - miteinander leben" Frauen unterschiedlicher Herkunft vereint. Die Treffen finden an jedem letzten Donnerstag im Monat um 10 Uhr im Dietrich-Keuning-Haus statt. Zu diesem internationalen Frauenfrühstück mit monatlich wechselnden Themen werden auch Referenten/innen eingeladen, die über wichtige soziale Themen informieren wie zum Beispiel über ausbildungsbegleitende Hilfen oder die Rentenantragsstellung.
Fatimes Herzensangelegenheit ist die Aufklärung über das Krankheitsbild der Aufmerksamkeit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). "Häufig wird ADHS als Modekrankheit abgetan, die durch falsche Erziehung hervorgerufen wird. Erzieher und Lehrer sind schlecht informiert und oft überfordert. Sie werden nicht ausreichend vorbereitet. Seit dem neuen Gesetz zur Inklusion ist das noch schlimmer geworden. Das Gesetz wurde umgesetzt, bevor die Lehrer weitergebildet werden konnten", kritisiert Fatime. In der von ihr neugegründeten Selbsthilfegruppe sollen Eltern zusammenkommen, deren Kinder von ADHS betroffen sind, um unter anderem über Probleme und Hürden im Alltag zu sprechen.
Das Krankheitsbild ADHS ist in der Öffentlichkeit zwar mittlerweile bekannt, die Symptomatik ist bei jedem Betroffenen aber anders ausgeprägt, mit unterschiedlichen Auswirkungen auf viele Lebensbereiche. Nicht jedes betroffene Kind zappelt ständig, aber alle Kinder mit ADHS verhalten sich auffällig, sowohl in der Schule als auch im häuslichen Umfeld. Meist ist dieses Verhalten für Mitschüler, Lehrer und Spielkameraden störend und bereitet der Familie im Alltag erhebliche Schwierigkeiten. Wie komme ich im alltäglichen Leben mit einem ADHS Kind zurecht? Wie ist das Leben mit einem ADHS Kind zu strukturieren? Dies sind nur zwei der vielen Fragen, die sich betroffene Eltern stellen. Hierbei möchte Fatime Sahin in der Selbsthilfegruppe mit ihrem Wissen und ihren eigenen Erfahrungen anderen Eltern zur Seite stehen. Fatimes Wunsch ist: "Obwohl wir wissen, dass wir nicht die Einzigen mit diesen Problemen sind, verzweifelt man oft. Zusammen können wir uns gegenseitig Kraft geben. Wir sind nicht allein. Als Gruppe möchten wir viel Aufklärungsarbeit leisten und Vorurteile abbauen." Angesprochen sind Eltern aller Nationalitäten mit schulpflichtigen Kindern. Die Gruppensprache ist deutsch und jeder ist willkommen. Die Treffen sind einmal im Monat freitags. Interessierte können sich bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle Dortmund (Frau Holl) melden (www.selbsthilfe-dortmund.de).
Als selbst Betroffene weiß Fatime, wovon Sie spricht. Sowohl ihre 13-jährige Tochter als auch ihr neun Jahre alter Sohn leiden unter ADHS. Jahrelang führte sie einen Kampf mit Lehrern, Rektoren und dem Schulsystem. Bis zum Zusammenbruch. "Es gibt keine Anlaufstellen in Dortmund. Niemand, der mir helfen konnte. Es gab nur eine Selbsthilfegruppe für Erwachsene mit ADHS-Syndrom. Diese hat sich aber auch aufgelöst. Im Internet findet man Informationen. Allerdings nur sehr mühsam und nicht gebündelt auf einer Webseite. Mein Ziel ist es, das zu ändern. Die Selbsthilfegruppe ist noch in der Gründungsphase. Mittlerweile sind vier Eltern fest in der Gruppe. Wir haben alle unsere Probleme, aber geben nicht auf", verdeutlicht Fatime Sahin. Langfristig möchte Fatime Sahin eine Internetseite mit gesammelten Informationen, Anlaufstellen, Therapien und Therapeuten für ADHS Patienten und Angehörige schaffen.
Demnächst würde sie auch gerne direkt in den Schulen mit Lehrern, Eltern und Kindern über das Thema sprechen, Fragen beantworten und informieren. Fatime Sahin kennt die Fakten: "80 Prozent der ADHS Kinder gehen in der achten, neunten Klasse ohne Abschluss von der Schule ab. Obwohl ADHS nicht bedeutet, dass man weniger intelligent oder lernbereit ist wie andere Kinder." Fatime führte für ihre Kinder unzählige Gespräche mit Lehrern, Rektoren und Sozialarbeitern. Kämpfte gleichzeitig an zwei Fronten für die Ausbildung und das Wohl ihrer Tochter sowie ihres Sohnes. "Ab der zweiten Klasse gab es für meinen Sohn zu viele Veränderungen in der Schule. Das ist nicht gut für Kinder mit ADHS und er begann zu stottern. Für meine Tochter war der Übergang zur weiterführenden Schule sehr schwer. Sie kam oft zu spät zum Unterricht, weil sie auf dem Schulweg von irgendetwas abgelenkt wurde. Ihre Mitschüler begangen sie zu mobben und sie "verbarrikadierte" sich für gut ein Jahr. Die Lehrer wissen nicht wohin mit dem Kind und versuchen es von der Schule zu kriegen", berichtet die 2-fache Mutter. Seit der Inklusion besucht ihr Sohn die Vincenz-von-Paul-Schule in der Oesterholzstraße. Ihre Tochter geht zum Käthe-Kollwitz-Gymnasium und hat durch einen Nachteilsausgleich die Möglichkeit, ihre Klassenarbeiten in einem separaten Raum und mit etwas weniger Zeitdruck zu schreiben.
Text: Nicole Winkelkötter
Bilder: Fatime Sahin