Sophie White
Sänger Sophie White interpretiert auf den kleinen Bühnen in Nordrhein-Westfalen große Chansons mit einmaligem Ausdruck und Gefühl. Vor vier Jahren findet er eine dieser Altbau-Traumimmobilien in der Dortmunder Nordstadt und möchte seither nicht mehr weg. Mit seinem Pianisten Thomas Bode präsentiert er aktuell sein zwölftes Programm "Sophie White singt Tucholsky, Kästner, Brecht". Ein ganz besonderes, spannendes Thema.
Im Alter von 18 Jahren ist Sophie in der Schwulenszene unterwegs und beginnt Frauenkleider zu tragen. „Damals war das cool und hip.“ 1991 lernt er einen Pianisten kennen und startete mit ihm sein erstes einfaches Chanson-Programm. Mittlerweile ist er mit seinem zweiten musikalischen Begleiter und vier Programmen gleichzeitig auf Tour. „Ich erhalte regelmäßig Anfragen, frühere Programme wiederaufzunehmen. Deshalb lerne ich die Texte immer so lange, bis sie fest im Langzeitgedächtnis verankert sind. Ich weiß nie, wann ich vielleicht nochmal mit einem Lied auftreten soll.“ Neben den Chanson-Abenden moderierte Sophie White die ersten 3 Sommerloch-Festivals in Braunschweig, wodurch er auch den Spitznamen "Marathon-Moderateuse" bekam. In ein hübsches Frauenkleid schlüpft er mittlerweile nur noch am Schluss seiner Bühnenauftritte, als Höhepunkt des Abends.
Der Künstlername „Sophie White“ klingt nicht nur gut und international, sondern es steckt auch eine nette Anekdote dahinter. “Ich nannte mich zuerst nur Sophie. Als man mir sagte, ich wirke so unterkühlt, dachte ich an die Kalte Sophie, eine der fünf Eisheiligen. Dadurch kam ich auf den Namen „Sophie White“, der mittlerweile auch offiziell in meinem Personalausweis steht.“ Die Chansonette hat keine Gesangsausbildung, sondern singt die Lieder, die ihm zu Herzen gehen. „Ich lebe die Texte und transportiere die Gefühle zu meinen Zuhörern. Jeder zieht für sich etwas aus der Musik. Das ist eine Macht, die man mit seiner Kunst hat.“ Sein Pianist Thomas Bode studierte Musik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover und ist als Solist im klassischen Bereich und im Jazz landesweit bekannt.
Sophie White und Thomas Bode treten gemeinsam etwa zehn bis fünfzehn Mal pro Jahr mit ihren Programmen auf und sind immer auf der Suche nach weiteren Spielstätten. „Als Künstler weißt du leider vorher nie, wie viele am Abend kommen. Deshalb scheuen sich Veranstalter davor, unbekannte Künstler auftreten zu lassen. Nischentheater haben mit ihrem Geld zu haushalten. Man muss sich sein Publikum hart erarbeiten.“ Nach seinem mittlerweile 12. Programm ist er erfahren im Erarbeiten der Titel. „Ich habe mit der Zeit viel dazugelernt. Am Anfang bin ich sehr naiv an die Sache gegangen. Jetzt achte ich auf den dramatischen Aufbau und ein bombastisches Ende.“ Um ein gesamtes Programm zu erarbeiten, benötigt die Chansonette ein halbes bis dreiviertel Jahr. Anschließend trifft er sich mit seinem Pianisten um zu proben. „Wir schließen uns für ein verlängertes Wochenende ein und verbringen bis zu acht Stunden pro Tag am Flügel. Manche Texte sitzen schon nach dem dritten Durchlauf, bei anderen benötige ich auch noch beim zehnten Auftritt einen Spickzettel und mache dann doch wieder denselben Textfehler. Das Auswendiglernen der Texte ist eine reine Fleißarbeit.“ Sophie interpretiert nicht nur, er schreibt auch selbst Liedertexte. „Stücke von Kästner mussten wir selbst vertonen. Das ist eine Menge Arbeit, die sich aber lohnt.“
Nachdem sich Sophie mit dem erfolgreichen Programm „Sophie White singt Udo Jürgens“ dem einfachen Schlager gewidmet hat, steigt er mit seinem neusten Programm „Sophie White singt Tucholsky, Kästner, Brecht“ in die höheren Regionen der Literaten empor. Auch wenn der Titel seines Programms simpel klingt, die Darbietung ist es sicherlich nicht. Große deutsche Literatur als Chansons zu interpretieren, ist eine besondere Aufgabe, der sich Sophie gestellt hat. Besonders seine Favoriten Tucholsky, Kästner und Brecht waren für ihn schon immer eine Herausforderung. „Bei diesem Programm sind nicht nur die politischen Seiten dieser Schriftsteller für mich von Interesse, sondern deren humoristische Ader hat es mir angetan.“ Für den geneigten Zuhörer stellt sich die spannende Frage: „Was passiert, wenn diese drei Meister deutscher Dichtkunst auf die recht eigenwillige Chansonnette treffen?“ Dabei werden bei diesem Programm auch wichtige Probleme aufgeworfen wie zum Beispiel, „wo die Löcher im Käse herkommen“ oder „wie das so mit den Frauen ist“. Aktuelle Termine sowie mehr Informationen zu Sophie White und seinem Programm auf www.sophiewhite.de.
Auf der Website finden Interessierte Chansonliebhaber auch ein paar Musikstücke aus den Programmen "Sophie White singt Udo Jürgens" und "Sophie White singt Tucholsky, Kästner, Brecht". Ein kleiner Einblick in das Bühnenprogramm, zum Reinhören und Genießen. Aber am besten ist es, sich Sophie White und Thomas Bode live bei einem ihrer nächsten Konzerte anzuhören und anzusehen. Wer jetzt denkt, dass Sophie eine Art Chansons-Travestie-Show macht, liegt schlicht falsch. Er präsentiert seine Stücke in schwarzem Hemd und Hose, ungeschminkt ohne Fummel, aber mit einem mitreißenden Ausdruck. „Ich mache mir bei der Vorbereitung des Programms viele Gedanken über die Mimik und Gestik zu jedem Lied. Was macht man damit und wie kitzelt man das Beste heraus, nur mit meiner Stimme und einem Klavier.“ Dass er Spaß am Singen hat, zeigt sich auf der Bühne sofort. Mit seiner selbstverständlichen Leichtigkeit zieht er alle Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl ungeschminkt und im legeren Outfit, schafft er es mit wenigen Gesten und einer unnachahmlichen Mimik ganz er selbst zu sein. Und das ist das ganze Geheimnis. Er spielt keine Rolle, er zeigt ganz und allein sich selbst.
Vor einem Auftritt in einer Kirche hatte er dann doch ein wenig Bammel. „Kirche ist ja nicht so mein Ding. Ich wurde natürlich darum gebeten, beim letzten Lied nicht im Kleid auf die Bühne zu kommen. Stattdessen nahm ich einen roten Schal. Aber es war ein sehr schönes Konzert mit besonders toller Akustik.“ Auch dem Pastor gefiel das musikalische Programm und so blieb ihm am Ende des Abends nur eine Sache zu fragen: “Wann kommen Sie wieder?“
Die Chansonette lebt mit seinem Mann seit gut vier Jahren in der Nordstadt. „Wir sind vom Dortmunder Westend hierhergezogen und fühlen uns eigentlich sauwohl.“ Ursprünglich stammt er aus Braunschweig. Auf der Suche nach Eigentum lockte die zwei eine besonders schöne Altbauwohnung in den Norden der Innenstadt und bisher haben sie diesen Umzug nicht bereut, sondern nutzen gerne das vielfältige kulturelle Angebot. „Natürlich gibt es auch negative Seiten, aber vor allem findet man hier viele unterschiedliche Menschen und Offenheit. Unsere Freunde sagen immer, wenn sie uns besuchen: Hier kann man sich einmal um den Erdball fressen. Was hier kulturell abläuft, ergibt einen tollen Überblick über die Menschen im Ruhrgebiet. Ein Mikrokosmos. Wer diese Qualitäten nicht sieht, ist selber schuld.“
Sophie empfindet die Nordstadt als liebenswürdig, ehrlich, bodenständig und auch ein wenig bekloppt. Vermutlich alles Eigenschaften, die man auch bei ihm findet. Im Alltag ist Sophie White unter dem Namen Jörg bekannt und arbeitet in einem Sanitätshaus in Dortmund. „Ich verkaufe Rollatoren. Verrückt sein gehört aber zum Leben dazu. Das Hobby Singen ist für mich ein Ventil. Sich mit Texten zu beschäftigen ist ganz spannend. Ich frage mich dabei immer, was ist die Aussage und wie interpretiere ich sie.“
Einen schwulen Chansonsänger, der bei seinen öffentlichen Auftritten gerne in Frauenkleidern auf die Bühne kommt, vermutet man eher im Kreuzviertel als in der Dortmunder Nordstadt. Sophie und sein Mann leben aber gerne im „roughen Norden“. „Als schwules Paar gehen wir nicht Hand in Hand die Münsterstraße entlang. Aber dass man Angst hätte – nein. Es ist auch eine Sache des Respekts vor anderen Kulturen. Wir möchten nicht unnötig provozieren. Aber als Künstler kann ich Denkanstöße geben und den Grundstein legen, damit sich in den Köpfen der Menschen etwas bewegt.“ Die Probleme der Nordstadt, wie die Prostitution und den Drogenhandel auf den Straßen, nimmt er im Alltag natürlich wahr. „Unsichere Ecken gibt es in jedem Stadtteil. Das gehört zum Leben dazu. Bei diesen Themen ist die Stadt gefordert, eine klare Haltung einzunehmen und Lösungen zu finden. Ein Verbot ist aber keine Alternative, das hilft den Menschen nicht weiter.“
Für die Zukunft der Nordstadt wünscht sich der Künstler mehr Nischenangebote im Bereich Theater und Musik. „Es ist schade, dass hier im Norden kein Off-Theater ansässig ist. Das Theater im DEPOT öffnet sich langsam für Musik. Ein Auftritt dort würde mich sehr freuen.“
Text: Nicole Winkelkötter
Fotos: Iris Huber (http://www.ansichtsweise.de)